Donnerstag, 15. Dezember 2011

Heimkehr vom Meer.


Ein Text von früher, 2009, ich mag die Worte darin.


Heimkehr vom Meer.

Meine Hände zittern. Ich habe die Luft geatmet und den Wind gesehen. Ich hab das Rauschen vernommen und war zurück in der Zeit. Der Druck von meinen Schultern, von meiner Brust und meinem Bauch war weg und ich bin angekommen. Manchmal, so wie jetzt gerade, wird mir das Herz noch schwer beim Gedanken daran. Ich bin nicht fertig geworden mit dem Denken, konnte nicht atmen und war gefangen. Aber ich spüre die Veränderung wie eine weise alte Dame wieder zu mir kommen. Ich forme Pläne mit meinen Händen, berühre Gegenstände und orientiere mich neu. Das ist so wichtig, das ist mein Inbegriff, Veränderung zu erkennen und wahrzunehmen. Ich weiß nicht worin meine Hoffnung liegt oder mein Leben. Ich BIN Veränderung. Wenn ich in meiner Stille bin, ist alles gut. Wenn ich meine Worte gewählt habe, sind sie wahr. 
Ich bin zurückgekehrt vom Meer mit seinen Sandkörnern und Steinen, vom Meer mit seinem Morgenduft, dem unschuldigen, von seinem Abendrot mit dem Glitzern und dem Mond in der Nacht, der den Weg hinaus beschreibt und möchte dass ich ihm folge. Die Linie am Horizont ist das was mich öffnet, und wenn ich mich abwende, bleibt ihr Bild als Nachbild auf meiner Netzhaut bis ich sterbe. Meine Hand auf seine Oberfläche zu legen und seinen Puls zu spüren; meine Welt in seine Hand zu legen und zu beten; meine Träume hinauszuschicken, auf einem Boot, einem schnellen, und meine Wünsche ihm mitzugeben auf seine Reise um die Erde, die nicht so rund ist wie ich dachte. Meine Antwort, meine Lebensantwort zu finden, auf einem Stück Papier in der Zukunft, geprägt und endlich, nicht unzerstörbar sondern menschlich. Das Rauschen zu hören, das mein Herz zum Schlagen bringt, das meinen Atem schneller macht, und das mich einhüllt.
Meine Antwort auf das Leben zu finden. Eine, die nur für mich passt, und in der sich meine Schmerzen legen. Das Vermissen aufzugeben und vielleicht einmal einen Schritt zu tun, um die Verbindung zur Vergangenheit zu kappen.

Ich habe dort am Meer geträumt von den Menschen, die mir nahe standen, die mich lehrten, das Vergeben als Chance zu sehen und Abstand zu nehmen von denen, die mich traurig machen. Hinauszugehen und dem Leben zuzunicken, wenn es mich wieder auf die Reise schickt. Zu hoffen, ein eigenständiger Mensch zu bleiben, auch wenn mein Herz in der Hand eines anderen zur Ruhe gefunden hat. Anzulegen, an einem Bootsteg mit Zukunft, und dann, dass mir jemand über die Reling hilft, mir eine Hand reicht und sie hält, solange, bis ich sicher auf der anderen Seite bin.

(...)

Als mein Herz dann bis zum Zerspringen klopfte, war ich im Traum dann am Puls des Lebens, in der Stadt, in der Nacht, am Tag, an einer Kreuzung bei roter Fußgängerampel. Das war vielleicht der Anfang, das Ende, die Mitte, der Platz. Da war ich unbesiegbar, unbezwingbar, menschlich vollkommen. Ich bin wieder hinausgegangen von dort, weil der Schmerz so groß war. Die Wellen spüre ich bis heute, und werde sie immer spüren, und das ist gut so. Das Zischen der Sektflasche, die Türe ins Schloss fallen, der Duft des Morgens, das Fallen allein, die Hand, der Atem. Der Sinn.
Macht nichts. Der Weg geht weiter.

Heute ist ein neuer Tag, morgen ein anderer. Ich möchte lernen, im Jetzt zu leben, in meiner eigenen Zeit und meinem eigenen Tun. Präsent zu sein in dem was ich tue, zu überleben in einer Welt voller Zwietracht, großzuziehen was in mir ist, und weiter zu gehen. Hin und wieder einen Punkt machen und mich hinsetzen. Rückblickend den Sinn erkennen, warum ich dieses oder jenes verloren habe, mich selber vergessen musste, Liebe bekam, Liebe gab und zum Anfang zurückkehrte. Man muss mit seinem Herzen dort sein, wo man ist.
Ich möchte wissen, warum die Menschen so gern in mein Gesicht schauen, mich beim Leben beobachten, ohne Hintergedanken, sondern nur mich ansehen. Das haben sie alle gerne gemacht. Ich weiß nicht was in meinem Gesicht ist. Ich weiß nicht was die Antwort ist, doch vielleicht müsste ich dafür nur in den Spiegel schauen.

Jeder bekommt das, was er tragen kann. Ich habe überlebt. Heute ist der letzte Tag von vielen letzten Tagen, und der erste von vielen anderen, und ich hätte jetzt gerade gerne noch etwas mehr Zeit, um zur Ruhe zu kommen, hier zu Hause, aber es wird einen Grund haben, warum ich das nicht tue. Ich habe Angst vor dem endgültigen Erwachsenwerden, aber der, der meine Geschichte erzählt, begleitet mich dorthin. Ich bin mitten hineingerutscht und das Leben war bis jetzt immer gut zu mir, hat mich geschubst wo ich hinmusste, und mich weggezogen wenn etwas zu Ende war. Das Leben hat mich weich gebettet, und mir Liebe gegeben die mich wachsen ließ. Es hat mir in mir selbst viel zu tun gegeben, und ich beobachte bewusst die Entwicklung in meinem Inneren. Manches passiert von allein, anderes will gefördert werden. Ich möchte so gerne ankommen, denke ich manchmal, aber das muss ich nicht. Ich schaue in die Zukunft und ab und zu wünsche ich mir, ich hätte alles schon hinter mir. Aber dann freue ich mich wieder auf jeden einzelnen Morgen, jeden einzelnen Nachmittag und Abend, jedes Glas Wein, jedes Gedicht, jedes Konzert, jedes gute Gespräch, jede Geburt und jeden Tod, auf jedes einzelne Mal wenn mich das Leben durch die Dimensionen schleudert und ich lerne, aufzustehen, immer wieder aufzustehen nach einer Niederlage, nach einem Streit, und auch nach den Siegen, die mich zu Boden gezwungen haben, aber auch nach einer gut durschlafenen Nacht. Ich möchte das Leben ganz leben, meinen Atem genießen und die Momente voller Glück. Und dann möchte ich wieder zum Meer.

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