Dienstag, 13. März 2012

Hildegard. (by Gernot Bluemel)

Hildegard


Die kleine Blume Hildegard
sprach nur von sich, den ganzen Tag.
Alles zog sie aus der Erde,
damit nur sie die Schönste werde.

Sie aß und trank,
mehr und mehr,
für die anderen blieb nichts,
das kränkte sie sehr.

"Hildegard," sagten sie,
"Denk nicht nur an dich!"
Doch das, wie sie war,
interessierte sie nicht.

"Der Schönsten im Beet steht alles zu.
Das bin ich. Und jetzt gebt Ruh'."

Der alte Kaktus, Ipikus sein Name,
beobachtete auch das Benehmen der Dame.
"Sorgt euch nicht," sprach er leise,
"Niemand hat Glück auf diese Weise.

Hochmut und Fall sind eng verbunden.
Auch wenn es euch schmerzt,
so sind's am Ende
Hildegards Wunden."

Die anderen Blumen lauschten genau,
denn sie wussten, der Kaktus
war immer schon schlau.

Eines nachts, als alle schon schliefen,
kam ein Sturm auf,
der das Beet durchbeutelte,
bis in die Tiefen.

Die kleinen Blumen hielten zusammen,
nur eine nicht,
die hörte man jammern.
"Meine schönen Blüten fliegen davon!
Und der Sturm scheint zu lachen,
voller Hohn!"

Die anderen hungrig, aber sicher beinander,
sahen sie straucheln, wie keine andere.
Da schallte es von Hildegard laut durch die Nacht,
die sich, nahe vorm Knicken, Sorgen nun macht:

"Warum helft ihr mir nicht?
Seid ihr nicht wach?!"
Da hörte sie:
"Wach sind wir schon,
aber zum Helfen zu schwach."


aus dem Gedichteband "Menschen:Kinder" von Gernot Bluemel, 2011,

"Menschen:Kinder ist eine Sammlung von Gedichten zum Nachdenken und Lachen. Mit feinem schwarzem Humor und treffendem Ausdruck bringt Gernot Bluemel menschliche Schwächen und, wenn man danach handelt, ihre Folgen ans Licht, und entführt gekonnt und mit spitzer Feder ins Reich der satirischen Prosa."


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