Mittwoch, 12. April 2017

Abschied vom Klavier.


Heute wurde das Klavier in meinem Elternhaus abgeholt. Es soll Platz werden für Neues. Ich war noch dort, und hab ein letztes Mal darauf gespielt. Das ist, was dabei in mir los war:

Abschied vom Klavier.

Noch einmal dort zu sitzen und dem Klang der Töne nachzuspüren, dieser ganz eigene Klang, der mich mein Leben lang begleitet hat, seit ich auf der Welt bin und zuhören kann. Noch einmal diese Tasten anzuschlagen, die schwergängigen, mit Kraft. Spüren, wie die Tränen kommen, die Tränen über all die verlorene Liebe, die ich dort betrauert habe.

So viel hab ich gelernt, während ich auf diesem Hocker saß. Über Geduld, vor allen Dingen. Übers Dranbleiben, übers Weitermachen, übers Nicht-Aufgeben. Ich habe gelernt, sitzenzubleiben, mich zu konzentrieren, auf eine Sache. Ich habe gelernt, loszulassen und die Musik zu mir kommen zu lassen, während rund um mich die Dunkelheit war. Ich habe gelernt, dass mich Musik heilen kann, dass ich mich selbst heilen kann, dass ich eine Ausdrucksmöglichkeit habe, die ohne Worte ist. Ich habe dort gesessen, wohl zu jeder Tageszeit einmal, zu jeder Nachtzeit, in jedem Zustand meiner Seele – und es war immer dasselbe Gefühl. Es war das Heimkommen, das Geborgensein, und die Möglichkeit, mir diese Geborgenheit selbst zu erschaffen. Dort zu sein, in diesem Winkel meiner Welt, mit diesem Klavier, in meinem Zuhause, wo ich aufgewachsen bin, hat mich geerdet, runtergeholt, mir Hoffnung gegeben und mich weitergetragen, egal, wie sehr rund um mich alles in Trümmern lag.

So bewusst von etwas Abschied zu nehmen, das bedeutet, dass sich wirklich etwas verändert, wirklich etwas tut da draußen, selbst wenn man sich dagegenstemmt und die Zeit anhalten will; dass ich nichts festhalten kann, nichts behalten darf, sondern alles im Leben nur geborgt ist. Und damit geht ein Gefühl des Respekts einher – vor den Dingen und den Menschen, ihren ganz persönlichen Geschichten, ihren Beweggründen und Motiven.

Was bleibt, ist die Erinnerung – an die Nachmittage, als Papa neben mir saß und mit mir übte; mir immer wieder geduldig die Tonfolgen vorspielte, mich verbesserte, mir Tipps gab und Hinweise, bis es klappte. Debussy. Mozart. Brahms. Schubert.
Was bleibt, ist die Erinnerung – an die Abende, als ich alles verdunkelte, allein zu Hause war, und mich einfach hineinfühlte, hineinhörte in das, was die Klänge zu mir brachten.
Was bleibt, ist die Erinnerung – an Weihnachten oder an ganz normale Sonntagvormittage, als Papa dort spielte, für sich, für uns, für die Musik.
Was bleibt, ist die Erinnerung an all das.
Was bleibt, ist ganz große Dankbarkeit. 


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